Das Wechselspiel zwischen Berührung und Distanz

Für viele Menschen ist es leichter, sich online einen One-Night Stand zu organisieren, als einen Partner zu finden, der einen regelmäßig in den Arm nimmt. Die vielen Freunde auf Facebook sind auf einmal nicht verfügbar, wenn es darum geht, einen Schrank in den 4. Stock zu tragen. In den U-Bahnen sitzen junge Leute mit Kopfhörern, ihren Blick auf ihr Smartphone gesenkt. Die Reizdichte und die Nähe der vielen, fremden Menschen bringen viele Leute dazu, sich innerlich abzugrenzen. Aber wer sich zurückzieht ist oftmals nicht frei, sondern einsam.

Woran liegt das?

Wir haben permanent zu viel oder zu wenig Nähe. Wir können heute über Social Media, Zoom oder Skype unser Gefühlsleben größtenteils in physischer Distanz zum Gegenüber verwirklichen. Manche Leute berühren Touch Screens häufiger und zugewandter als die Haut anderer Menschen.

Was geht dabei verloren?

Der Mensch braucht Berührung, um zu gedeihen. Er kann ohne Geschmackssinn leben, ohne Gehör, sogar ohne Augenlicht, aber er bleibt nicht gesund, wenn der Körperkontakt wegfällt. Die Haut ist eine Körpergrenze. Diese muss ich als Mensch immer wieder erfahren und begreifen. Der biologische Reifungsprozess setzt voraus, dass der Organismus sicher ist, dass ein Gegenüber existiert. Er muss fühlen. Es gibt den Anderen. Und es gibt mich. Die Füße meines Sohnes wussten noch nichts über ihre Funktion, den Körper zu tragen, bis sie zum ersten Mal den Boden unter sich gespürt haben. Dann werden Füße zu Füßen. Die Längs- und Quergewölbe bilden sich erst dann aus, wenn der Boden ein Feedback an den Fuß zurückgibt. Hierbei ist nicht nur die Schwerkraft von Bedeutung, sondern auch die Stützkraft der Erde, die von unten nach oben wirkt. Der Tastsinn von Babies ist die am stärksten ausgeprägte Fähigkeit.

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Auch Erwachsene reagieren stark auf Körperkontakt, teils ohne es zu wissen. Die kurze Berührung einer Frau macht viele Männer z.B. risikofreudiger. Berührungen können Emotionen transportieren. Das ist das Ergebnis eines Experiments der Yale University. 40 von 58 Teilnehmern erkannten bei der Berührung ihres Gegenübers, ob er Liebe, Ekel oder Dankbarkeit empfand. Die anderen 18 Teilnehmer haben es sich vielleicht zu sehr abtrainiert, denn wir sind gewohnt, uns von unseren Gefühlen abzuspalten und dann nüchtern über sie zu sprechen. „Ich bin gerade total wütend.“ Zivilisiertes Verhalten führt manchmal dazu, dass wir unsere Gefühle nicht mehr wirklich wahrnehmen oder benennen können. Gefühle, Wahrnehmungen und Emotionen werden oft im Sprachgebrauch vermischt oder synonym verwendet.

In einer Rolfing-Sitzung höre ich auf die Frage, „wie fühlst du dich?“, oft die Antwort “gut“. Wenn ich weiterfrage, stellen meine Klienten oft fest, dass sie gar nicht so genau wissen, wie sie sich fühlen. Nach einiger Zeit kommen dann oft verschiedene Gefühle hoch. Diese benennen zu können, verfeinert das Wahrnehmungsvermögen und schafft ein Vokabular für sonst oft ungreifbare Phänomene. Authentischer Selbstausdruck wird möglich und ich kann darauf eingehen. Außerdem empfinden entspannte Körper mehr als gestresste und angespannte Körper. Berührungen an sich können beruhigen und sogar Schmerzen lindern. Die Haut und die Faszien haben so viele Rezeptoren und Nervenfasern, dass sie in Forscherkreisen inzwischen als Oberfläche des Gehirns diskutiert werden.

Berührung kann in einer Zeit, in der wir viel mit Anspannung und Unsicherheit konfrontiert sind, Sicherheit und Vertrauen schenken. Berührung stärkt die Fähigkeit zu Gemeinschaft und Gemeinsamkeit. Für mich ist sie ein Schlüssel zu Verbindlichkeit.

-Let’s stay in touch!

Bist du neugierig auf den Rolfing-Touch?

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Was sagt mir dein Körper?