Essay: Warum nicht Osteopathie, Feldenkrais oder Phsysiotherapie?

Alle genannten manuellen Methoden sind erfolgreich in der Behandlung und Linderung von Schmerzen, Blockaden und Bewegungseinschränkungen. Was unterscheidet Rolfing® also von den anderen Methoden und wann entscheidet man sich für ROLFING®?

Eine Kollegin, die sowohl als Osteopathin als auch als Rolferin arbeitet, veranschaulicht den Vergleich zwischen der Rolfing-Methode und der Osteopathie mit den Gleisen einer Eisenbahn. Die langen Schienen sind wie ROLFING® und die Querverstrebungen wie Osteopathie. Osteopathie und ROLFING® haben viele Gemeinsamkeiten in ihrem ganzheitlichen Ansatz, u.a. das aufmerksame Hineinspüren in unterschiedliche Schichten und Organsysteme des Körpers. In der Rolfing-Methode werden myofasziale Leitbahnen behandelt, die sich wie Straßen durch unseren Körper ziehen und dabei verschiedene fasziale Linien bilden (z.B. die Frontallinie, die Seitlinie, Mittellinie etc.) Eine lokale Behandlung von Bindegewebe erfolgt stets in Relation zu den entsprechenden Zuglinien im Körper. Daher kommt der Vergleich mit den Schienen. Der Vergleich von Osteopathie mit den Querverstrebungen der Gleise kommt von einer Fähigkeit der Osteopathen, Querverbindungen zwischen Organen und formgebenden Teilen des Körpers zu sehen. Sie können z.B. feine Eigenbewegungen von Organen und Flüssigkeiten in Relation zu anderen Schichten im Körper wahrnehmen und behandeln. Viszerale Manipulation kam im ursprünglichen Rolfing-Protokoll nur ansatzweise vor. Heute hingegen hat sie, mitunter durch die Arbeit von Jean Pierre Barral und Peter Schwind, Einzug in die Rolfing-Methode gehalten. Einen Unterschied zwischen ROLFING® und Osteopathie sehe ich darin, dass Rolfer die Wirkung der Schwerkraft auf den Körper mit in ihre Behandlung einbeziehen. Wenn z.B. an den Beinen eines Klienten gearbeitet wird, stellt sich im Laufe der Sitzung die Frage, ob seine Beine auch mit dem Rücken kommunizieren können d.h. ob die Kraftübertragung von den Beinen in den Rücken und umgekehrt ungehindert funktioniert, wenn die Schwerkraft im Stehen oder Gehen auf den Klienten wirkt. Dieser Ansatz ist mir in der Osteopathie bisher nicht begegnet.

Feldenkrais arbeitet wie ROLFING® mit der Schwerkraft. In der Tat kannten sich Moshe Feldenkrais und Ida Rolf und schätzten sich in der Diskussion ihrer Methoden. Ein beliebter Streitpunkt war der Ansatz „Strukturelle Integration“ von Ida Rolf im Vergleich zu „Funktioneller Integration“ von Moshe Feldenkrais. Feldenkrais erzielte gute Erfolge damit, Körperbewusstsein durch Bewegung zu verbessern. Ida Rolf’s Ziel war es hingegen, die Körperstruktur erst optimal im Raum auszurichten, bevor man sich der Bewegung widmet. Beide Ansätze führen zum Ziel. Tatsächlich gibt es im ROLFING® auch die Rolfing-Movement Sitzungen, die so wie Feldenkrais Bewusstheit und Integration durch Bewegung schaffen. Die Movement Prinzipien sind auch Teil traditioneller Rolfing-Sitzungen.
ROLFING® und Feldenkrais haben viele Gemeinsamkeiten in ihren Ansätzen, weshalb es einige Rolfer gibt, die auch Feldenkrais-Lehrer sind. Die Entscheidung für die eine oder die andere Methode ist in dem Fall eine Entscheidung nach persönlichen Vorkenntnissen oder Vorlieben.

Die Stärken von Physiotherapie liegen in der akuten Behandlung von Schmerzen und nach Unfällen oder Operationen. Die ärztliche Verordnung hat meist die vollständige oder zumindest anteilige Kostenübernahme der Krankenkassen zum Vorteil. Kehrseite ist aber auch die vorgeschriebene Behandlungszeit für eine Sitzung, die mir vor allem bei gesetzlich versicherten Patienten zu kurz erscheint. Die Tatsache, dass ein Physiotherapeut gegenüber dem behandelnden Arzt weisungsgebunden ist, führt oft dazu, dass sich der Physiotherapeut in einer kurzen Behandlung nur auf die Stelle des auftretenden Schmerzes fokussieren und dabei womöglich die größeren Zusammenhänge nicht berücksichtigen kann.

ROLFING® betrachtet den Körper als eine „Tensegrity Struktur“, ein aus den Wörtern tension (Spannung) und integrity (Einheit oder Zusammenhalt) zusammengesetzter Begriff, bei dem der Zusammenhalt einer Konstruktion auf dem Gleichgewicht der Spannungskräfte beruht. Die von dem Künstler Kenneth Snelson erdachten und dem Architekten Richard Buckminster Fuller konstruierten Stabwerke bieten uns ein neues Bild des menschlichen Körpers: Anstatt das Skelett als einen stabilen Rahmen zu begreifen, an dem die Muskeln aufgehängt sind, stellen sie den Körper als ein unter Spannung stehendes, dreidimensionales Netzwerk dar, in dem die Knochenstreben scheinbar frei schweben.

Wenn wir die Architektur unseres Körpers als Tensegrity Modell verstehen, im Gegensatz zu einem soliden Haus, wo ein Stein über dem anderen steht (der Kopf steht über dem Rumpf, der Rumpf liegt auf dem Becken, das Becken über den Beinen etc.) ergeben sich einzigartige Eigenschaften (Formbarkeit, Resilienz, Kommunikationsfähigkeit), dank derer sich das Tensegrity Modell als Modell für die Funktionsweise unseres Körpers eignet, auch wenn der Körper derartige Modelle noch an Komplexität übertrifft. Ein Haus würde auf den Kopf gestellt nicht mehr so gut funktionieren. Der Körper eines Menschen bewahrt jedoch seinen inneren Zusammenhalt auch in dem Fall, wenn er sich von einem Ast hängen lässt oder einen Kopfstand macht. Aufgrund eines inneren Gleichgewichts von Spannung und Kompression behalten die Konstruktionen, die dem Tensegrity Modell entsprechen, ihre Form, egal wie sie ausgerichtet sind.

Wenn wir die Stäbe in einem Tensegrity Modell mit den Knochen im Körper vergleichen und die elastischen Bänder mit unserem Bindegewebe, verursacht jeglicher Druck auf einen Knochen oder Zug an einem Band eine Spannung, welche sich gleichmäßig auf die ganze Konstruktion verteilt. Eine Verletzung an einem Körperteil kann sich demnach nicht nur lokal auswirken, sondern über den ganzen Körper verteilen. Ein Schleudertrauma ist z.B. einige Tage lang ein Problem für den Hals, wird dann für Wochen ein Problem der Wirbelsäule und betrifft anschließend den ganzen Körper. Nur den Hals zu behandeln wäre nicht das richtige Vorgehen. Im ROLFING® wird der ganze Körper betrachtet. Der Fokus von ROLFING® liegt oftmals nicht direkt auf den Schmerzen, sondern auf der Ausrichtung des Körpers im Raum und zur Schwerkraft. Schmerzen gehen im Rahmen der Rolfing-Sitzungen oft von alleine weg. Nämlich dann, wenn der Körper seine Bewegungsfreiheit, Resilienz, die Kommunikationsfähigkeit des Faszien-Netzes und seine Elastizität wiedergewinnt. ROLFING® macht dann Sinn, wenn man tiefer in das Verständnis seines Körpers eintauchen möchte und durchaus nicht nur das Lindern von Schmerzen im Blick hat, sondern auch neugierig auf das Potential des menschlichen Körpers ist.

Quellen:

  • https://www.functional-training-magazin.de/das-tensegrity-modell/


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ROLFING® und Psyche