Rolfing und Psyche

ROLFING® ersetzt keine Psychotherapie, aber viele Aspekte der Psyche werden in die Rolfing-Methode miteinbezogen. Ein Rolfer arbeitet in erster Linie mit der Schwerkraft, einer Kraft die konstant auf uns wirkt. Diese hat vorerst noch nichts mit der Psyche zu tun. Doch wir haben von Geburt an gelernt, wie wir mit der Schwerkraft umgehen müssen, um schließlich zu stehen und zu laufen.

Vielen von uns ist nicht bewusst, dass wir uns fortlaufend mit der Schwerkraft arrangieren müssen, um zu handeln.

Bevor wir handeln, müssen wir orientiert sein. Der Körper muss wissen, wo oben, unten, vorne, hinten, links und rechts ist. Je klarer unsere Orientierung ist, umso erfolgreicher ist die angestrebte Handlung. Dies wird in vielen Situationen relevant, z.B. dann, wenn wir eine Rede halten müssen. Wer einen sicheren Stand hat und gut im Raum orientiert ist, wirkt selbstbewusster und fühlt sich dadurch wahrscheinlich emotional stabiler. Wenn unsere Füße den Boden unter sich spüren und nicht nur berühren, sondern sich auch vom Boden berühren lassen, wird unsere Sinneswahrnehmung und letztlich unser Gehirn intensiver stimuliert. Jetzt kommen wir der Psyche langsam näher.

Mutter mit Baby
Rede halten
Alles steht Kopf

Es ist inzwischen erkannt, dass das Faszien-Netz unzählige freie Nervenenden enthält und ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Sinnesorgan für die Propriozeption ist, dem Sinn der Eigenwahrnehmung für Lage und Bewegung im Raum. Biologisch betrachtet, suchen wir Sicherheit und meiden Bedrohungen. Das Fasziennetz im Körper kann sich sehr schnell an Stress anpassen. Muskeln und auch kontraktile Elemente der Faszien können entweder anspannen oder entspannen. Entspannung bedeutet Sicherheit. Wenn ein bedrohliches Ereignis eintritt, reagiert der Körper mit Anspannung. Das Gefühl der Sicherheit geht verloren. Chronische Anspannung kann langfristig zu psychischen Beschwerden führen. Der Rolfer Pedro Prado beschreibt das Fasziennetz als Mediator zwischen dem Nervensystem und der Muskelaktivität. Darüber hinaus sieht er es als Mediator von Emotionen, da es auch auf hormonale Schwankungen und emotionale Impulse schnell reagiert. Es vermittelt zwischen der Sinneswahrnehmung, dem Gehirn und der Antwort des Körpers und sorgt so für die Organisation des Körpers in Richtung Abwehr oder Anpassung. Die Organisation des Fasziennetzes in der Schwerkraft eröffnet daher nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine psycho-emotionale Perspektive.

Ängstlich
Nervös
Nervensystem

Das hat uns z.B. auch die Arbeit von Peter Levine, Rolfer und Begründer der Somatic Experience Methode, gezeigt.

Gesprächstherapie spielt sich ihm zufolge größtenteils im Neocortex unseres Gehirns ab. Einem Teil des Gehirns, der aktiv wird, wenn wir rational denken und sprechen. Viele Traumata oder psychisch bedingte Spannungsmuster werden allerdings in tiefer liegenden Gehirnarealen gespeichert, dem sog. Reptilienhirn, so Levine. Das ist ein Gehirnareal, das mit Reflexen und Impulsen in Verbindung gebracht wird. Mit Worten haben wir keinen direkten Zugang zu diesem Gehirnareal, da wir es i.d.R. nicht willkürlich ansteuern können.

Im ROLFING® läuft Vieles non-verbal ab. Die Rolfing-Berührungen geben dem Klienten wertvolle Information über seinen Körper, so dass der Klient die Empfindungen, die er dabei macht, zu einer Art Landkarte zusammensetzen kann, die ihm zeigt, wie die Ressourcen des Körpers sichtbar werden, aber auch welche Bereiche Zuwendung oder eine andere Verknüpfung im Gehirn benötigen. Offene Fragen wie z.B.: “Wie fühlt es sich an, wenn du langsam ausatmest?“ erlauben dem Klienten, Dinge auf seine Art zu integrieren. Je mehr wir unserem Körper zuhören und Signale wahrnehmen können, desto größer ist die Chance für Veränderung.

Landkarte

Wenn wir etwas verbal verstanden haben und für sinnvoll halten, heißt es noch lange nicht, dass wir es auch umsetzen. Aber wenn der Körper etwas verstanden hat und eine Alternative zu den bisherigen Mustern gespürt hat, kann er sie verkörpern. Das nennt man Embodiment. Ich als Rolferin fördere Erfahrungen von Embodiment und freue mich wenn ich es schaffe, dem ganzen Menschen Raum für Veränderung geben zu können.

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Die Frage nach den Alternativen: Warum nicht Osteopathie, Feldenkrais oder Physiotherapie?

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